
19.05.2025 - Allgemein
Über Jahrzehnte hat Jürgen Heraeus die Heraeus-Gruppe geprägt, erst als CEO, später als Vorsitzender von Aufsichtsrat und Gesellschafterausschuss. Im Interview spricht er über Werte wie Respekt und Bescheidenheit als Grundlage für den Erfolg eines Familienunternehmens. Und er gibt einen Ratschlag weiter, an den auch er sich gehalten hat.
Herr Dr. Heraeus, Sie sind überzeugt, dass Familienunternehmen nach dem Prinzip „People, Purpose, Profit“ agieren sollten – und zwar genau in dieser Reihenfolge. Begründet dies den Erfolg von Heraeus?
Ja. Man muss natürlich auch ein gescheites Geschäftsmodell haben, Innovationen hervorbringen und den Willen zeigen, das Unternehmen über Generationen zu erhalten. Das ist die Idee eines Familienunternehmens. Die nächste Generation muss wissen, dass sie ihre Anteile nur treuhänderisch bekommt, um sie weiterzugeben. Dieser Gedanke ist auch bei uns in der Familie seit der Gründung 1851 fest verankert.
Sie sagen, die Menschen stehen an erster Stelle. Meinen Sie die Mitarbeitenden oder die Inhaber?
Beides. Die Mitarbeitenden, die Gesellschafter und das ganze Umfeld, also auch die Kunden. Den Spruch „Der Kunde steht bei uns im Mittelpunkt“ halte ich allerdings für eine Plattitüde. Dass man ohne Kunden nichts verkaufen kann und seine Kunden gut behandeln muss, ist doch selbstverständlich. Wenn man aber seine Mitarbeitenden und seine Gesellschafter vergisst, braucht man auch keine Kunden, denn dann ist das Unternehmen irgendwann nicht mehr existenzfähig.
Immer mehr deutsche Familienunternehmen denken an den Verkauf und geben ihre „Legacy“ damit auf. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Es ist anspruchsvoller geworden. Ein typisches Familienunternehmen mit 150 bis 850 Mitarbeitenden bewegt sich in Deutschland in schwierigem Fahrwasser: Die Kosten sind hoch, die Bürokratie ist erbärmlich und wird auch nicht besser. Dadurch wird es immer schwerer, das Unternehmen zu steuern. Vor diesem Hintergrund kann ich nachvollziehen, wenn die NextGen sagt: „Das will ich mir nicht antun.“
Werden wir in den nächsten Jahren eine schleichende Deindustrialisierung in Deutschland sehen?
Die Hoffnung stirbt immer zuletzt, dass das nicht passiert. Aber um den Standort Deutschland steht es aktuell wirklich nicht gut. Wer heute eine neue Fabrik baut, kommt nicht auf die Idee, das in Deutschland zu tun. Es gibt eine Fülle an Alternativen, etwa in Portugal, Rumänien oder Polen, die attraktiver sind. Das liegt nicht nur an den Lohnkosten, sondern auch an den Baukosten und der Bürokratie. Diese endlosen Genehmigungsverfahren in Deutschland sind absurd. Wenn man ein Jahr länger braucht für den Bau einer neuen Fabrik als in anderen Ländern, ist die Sahne vom Kuchen vielleicht schon wieder weg.
Wie reagiert Heraeus auf die schlechten Standortbedingungen in Deutschland?
Heraeus hat das Problem nicht, weil wir nur 11 Prozent unseres Umsatzes in Deutschland erzielen und keinen hohen Exportanteil haben. Wir produzieren dort, wo unsere Kunden sind. Die Misere der kleineren Unternehmen besteht darin, dass sie nicht so einfach im Ausland investieren können. Ihnen fehlen oft die Erfahrung, die Mitarbeitenden und das Geld. Dazu kommt: Sie werden überlastet mit regulatorischen Vorgaben wie dem Lieferkettengesetz. Von der Idee her ist das Gesetz zwar gut, aber in einem Unternehmen mit 200 oder 250 Beschäftigten gibt es niemanden, der es umsetzen kann. Dann braucht es Berater, die das für viel Geld übernehmen. Das ist der totale Wahnsinn.
Wie ist es Ihnen gelungen, die vielen Gesellschafter Ihres Unternehmens zusammenzuhalten und hinter dem definierten „Purpose“ zu vereinen?
Wir haben immer Wert darauf gelegt, dass die Gesellschafter von ihrer eigenen Arbeit leben und nicht von der Dividende, die regelmäßig nur bei 20 bis 25 Prozent des Jahresüberschusses lag. Das hat dem Unternehmen die Möglichkeit gegeben, erhebliches Eigenkapital zu bilden. So haben wir auch Zeiten wie die Finanzkrise und Corona gut überstanden. Und wir haben den Purpose immer vorgelebt: Schon mein Vater und mein Onkel waren bescheiden und haben nie einen großspurigen Lebensstil gepflegt. Diesen Grundsatz haben wir in der Familienverfassung festgeschrieben und dort verankert, was wir von den Gesellschaftern erwarten. Juristisch ist das zwar nicht bindend, soweit es nicht in der Satzung steht, aber alle haben mit ihrer Unterschrift zugestimmt.
Die nachfolgende Generation tickt in manchen Dingen etwas anders. Wie erleben Sie das?
Arbeit wird heute oft als Last dargestellt. Diese Haltung wird politisch, in den Medien und von Influencern propagiert. Deshalb ist es nicht abwegig, dass auch Vertreter unserer NextGen in Zukunft sagen: „Wenn Geld im Unternehmen ist, dann schüttet doch mal mehr aus, dann kann ich einen Tag weniger arbeiten in der Woche.“
Die Idee der komfortablen Vier-Tage-Woche für alle passt aber nicht in diese Welt, in der es um Schnelligkeit, Veränderungswillen und Durchhaltefähigkeit geht. Fast alle kleineren Dienstleistungsbetriebe in Deutschland, z.B. Restaurants, Schneidereien und Reinigungsunternehmen, sind mittlerweile in ausländischer Hand. Das sind häufig Familienbetriebe, die keinen Zettel für Überstunden haben. Dort arbeiten die Leute, weil sie Geld verdienen wollen und müssen. Im aktuellen Umfeld kann es durchaus passieren, dass eine Erbgeneration das Unternehmen verkaufen will, um sich ein schönes Leben zu machen.
Wie sorgen Sie dafür, dass Ihre jungen Gesellschafter den Heraeus-Purpose weitertragen?
Wir laden die 16- bis 28-Jährigen zwei bis drei Mal pro Jahr ein. Dann verbringen sie einen fröhlichen Abend, lernen sich untereinander kennen und am nächsten Tag erfahren sie wichtige Dinge über das Unternehmen und den Umgang mit Geld. Wir wollen erreichen, dass die jungen Leute einen Stolz auf das Unternehmen entwickeln, dessen Gesellschafter sie sind oder einmal werden. Und auch die Mitarbeitenden müssen stolz sein. Wenn ich erlebe, dass Menschen für das Unternehmen durchs Feuer gehen, dann ist das für mich etwas sehr Schönes und Befriedigendes.
Was ist der Schlüssel, damit Beschäftigte einen solchen Stolz entwickeln?
Die Menschen mit Respekt zu behandeln. Das macht einen riesigen Unterschied. Kürzlich habe ich beim Aufräumen einen Brief gefunden, den meine Tochter Alexandra mir 2020 geschrieben hat, als ich meine Tätigkeit im Aufsichtsrat beendet habe. Darin schreibt sie: „Solange ich lebe und solange ich denken kann, warst du in der Firma der Chef. Ob in der Geschäftsführung oder im Aufsichtsrat, Du warst der Kopf der Familie, das Bild nach außen und für mich im Grunde die Firma. Und ich habe nie empfunden, dass das bei Dir besondere Besitzansprüche ausgelöst hätte. Im Gegenteil: Du hast immer für alle gedacht. Egal, wo wir waren, habe ich immer erlebt, dass Du den Menschen mit Respekt begegnet bist, ob Werkarbeiter, Assistentin, Chinese oder Deutscher. Du begegnest Menschen auf Augenhöhe und das spüren sie.“ Dieses Kompliment hat mich sehr gerührt.
Was raten Sie Unternehmen, um in diesen herausfordernden Zeiten auf der Erfolgsspur zu bleiben?
Ich rate ihnen, gut mit ihren Gesellschaftern umzugehen und sehr wachsam zu schauen, ob sie das richtige Programm haben. An der Misere einiger deutscher Unternehmen trägt ja nicht nur die Politik Schuld. Es gibt den schönen Spruch: „Tradition heißt, die Flamme voranzutragen und nicht die Asche.“ Manche Unternehmen halten zu lange an etwas fest, das nicht mehr in die heutige Zeit passt. Viele Eigentümer schaffen es auch nicht aufzuhören. Sie haben immer so viel gearbeitet, dass sie kein Hobby haben und nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Ich verstehe, dass es schwer ist loszulassen, aber es ist wichtig.
Wie haben Sie das damals geschafft?
Dr. Günther Saßmannshausen, der meinem Vater als Aufsichtsratsvorsitzender folgte, riet mir im Alter von 55 Jahren ganz beiläufig, dass ich mir Gedanken machen solle, wann ich aufhören will. Da habe ich erstmal einen Schreck bekommen. Er sagte: „Setzen Sie sich ein Ziel, 60, 65 oder 67 Jahre – nicht später. Und halten Sie es unbedingt ein!“ Das habe ich mir gemerkt und beschlossen, mit 65 Jahren als CEO aufzuhören. Das habe ich getan und den Aufsichtsratsvorsitz übernommen. Das war ein guter Ratschlag.
Dr. Jürgen Heraeus und die Heraeus-Gruppe
Die Heraeus-Gruppe ist ein breit diversifiziertes Familien- und Technologieunternehmen mit Sitz in Hanau. Mit mehr als 16.000 Mitarbeitenden und einem weltweiten Umsatz von knapp 30 Mrd. Euro gehört Heraeus zu den Top Ten der deutschen Familienunternehmen.
Dr. Jürgen Heraeus war zwischen 1983 und 2000 Vorsitzender der Geschäftsführung von Heraeus und leitete einen grundlegenden Umbau des Unternehmens ein: Er diversifizierte und internationalisierte das ohnehin bereits globale Geschäft und brachte Heraeus – als erstes deutsches Familienunternehmen – in eine Holding-Struktur. Von 2000 bis 2020 war er Vorsitzender des Aufsichtsrats der Heraeus Holding GmbH und Vorsitzender des Gesellschafterausschusses.
Dieses Interview erschien ursprünglich in unserem Magazin „Family Business Matters“. Lesen Sie die ganze Ausgabe hier!
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