Christina Diem-Puello im Interview

Christina Diem-Puello im Interview: „Deutschland muss wieder Lust auf Leistung machen“

Christina Diem-Puello sieht in der aktuellen Krise die Chance, unser Land mit Gestaltungswillen und Macher-Mentalität in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Im Interview erläutert die Unternehmerin und Präsidentin des Verbands der Unternehmerinnen in Deutschland e.V., was es dafür braucht, wieso sie an Deutschland festhält und sich gezielt in der Öffentlichkeit positioniert.

Was erwartest du als Unternehmerin und Präsidentin des Verbands der Unternehmerinnen in Deutschland (VdU) von der nächsten Bundesregierung?

Der Wirtschaftsstandort Deutschland kämpft mit gravierenden strukturellen Herausforderungen. Von der neuen Bundesregierung erwarte ich,
dass sie sich auf die großen wirtschaftsrelevanten Themen fokussiert: die Bürokratie abbaut, Energiepreise senkt und die Infrastruktur stärkt. Wir müssen eine gemeinsame Zukunftsvision für dieses Land entwickeln und pragmatisch und mutig die nötigen Debatten dazu führen. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam – im Schulterschluss zwischen Wirtschaft und Politik – vorangehen und dabei keine Zeit verlieren.

Du strahlst viel Optimismus aus. Woher nimmst du diese Zuversicht?

Natürlich gibt es auch in meiner unternehmerischen Tätigkeit Höhen und Tiefen, aber ich schöpfe viel Energie aus meinem Netzwerk und aus den persönlichen Begegnungen mit Unternehmerinnen und Unternehmern. Wir haben viele fantastische Entrepreneure in diesem Land – mit innovativen Geschäftsmodellen und transformativen Ansätzen, die trotz der Politik, trotz der Wirtschaftskrise erfolgreich ihre Geschäfte führen. Das euphorisiert und motiviert mich jeden Tag. Die Stimmung in diesem Land ist in der Wahrnehmung weitaus schlechter als in der Realität. Gerade in der Krise liegt die Chance, unser Land mit Gestaltungswillen und Macher-Mentalität in eine sehr erfolgreiche Zukunft zu führen.

Was braucht es jetzt seitens der Politik, damit dies gelingt?

Wir brauchen eine radikale Entlastung für die Unternehmen, damit wir uns weiterentwickeln können und wieder ins Innovieren kommen. Dabei reicht es nicht, Aufbewahrungsfristen von Belegen anzupassen, um Platz in Räumen und Aktenschränken zu machen. Wir brauchen Platz in den Köpfen und auf den Schultern unserer Mitarbeitenden. Dann kann Deutschland Innovationsstandort sein und eine Vorbildrolle einnehmen, etwa im Bereich innovativer Technologien oder erneuerbarer Energien. Dazu bedarf es aber der vollen Schubkraft aus der Politik für die Wirtschaft.

Immer mehr deutsche Unternehmer investieren im Ausland. Du möchtest dem Standort Deutschland treu bleiben. Wieso?

Diese Frage diskutiere ich oft mit meinen Eltern. Ich glaube unerschütterlich an den Standort Deutschland und an die Stärke von Mittelstand und Familienunternehmen. Ich bin überzeugt, dass wir auch in Deutschland die Möglichkeit haben, aus der Wirtschaft heraus mit der Unterstützung der Politik dieses Land wieder nach ganz vorne zu bringen, als Technologietreiber, als Digitalisierungsspezialist. Zudem: Was ist die Alternative? Wollen wir in der aktuellen geopolitischen Lage wirklich in die USA?

Du plädierst für ein starkes Europa als Gegengewicht zu den USA und Asien.

Wir müssen uns in Europa wieder zusammenrotten. Was macht man in einem Unternehmen, das nicht mehr funktioniert? Ein großes Restrukturierungsprogramm. Einen solchen „Reset“ brauchen wir für Europa. Denn die Grundidee von Europa ist großartig. Wir müssen sie nur wieder positiv belegen. Wenn wir den Binnenhandel Europas stärken, wird auch Deutschland maßgeblich davon profitieren. Wir brauchen Europa mehr denn je.

Deine Unternehmerfamilie hat viele Höhen und Tiefen erlebt. Ist das ein weiterer Grund für deine Zuversicht?

Unser Geschäftsmodell dreht sich seit jeher ums Fahrrad. Und es ging immer hoch und runter. Während des Zweiten Weltkriegs zu Zeiten meines Urgroßvaters war das Fahrrad überlebensnotwendig. Nach dem Krieg ging es für uns bergab: Alle wollten Autos, Fernseher und Kühlschränke. Das Fahrrad war für arme Leute. Als meine Mutter das Unternehmen übernahm, kam der Sport-, Gesundheits- und Lifestylefaktor auf und wir sind wieder gewachsen. Als ich einstieg, wurde die Mobilitätswende immer sichtbarer und das Fahrrad Teil einer nachhaltigen Fortbewegung.

Mit der Deutschen Dienstrad GmbH gehst du noch einen Schritt weiter.

Wir haben damit etwas Neues an den Markt gebracht: Die Deutsche Dienstrad GmbH bietet ein voll digitales Dienstradleasingmodell und jedem Arbeitnehmer über die Gehaltsumwandlung bei den Arbeitgebern den Zugang zu nachhaltiger Mobilität. Parallel haben wir den Mobility-Hub gegründet, über den 6.000 Fahrrad-Fachhändler ihre Ware bei uns im Shop anzeigen können. Somit haben wir einer ganzen Branche das Tor zur Digitalisierung geöffnet.

Du positionierst dich als Unternehmerin und Präsidentin des VdU bewusst in der Öffentlichkeit. Wieso?

In meiner Familie herrschte lange die Vorstellung, dass man als Familienunternehmer nicht über Politik oder Geld redet, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Man fährt sein Leben lang eine Mercedes Benz C-Klasse, um bloß nicht aufzutragen. Wenn wir Unternehmer aber weiter schweigen und der Politik nicht real und praxisnah vermitteln, was wir brauchen, dann kann diese auch nicht darauf reagieren. Immer mehr Unternehmen ernennen einen Chief Political Officer, weil sie verstanden haben: Wir müssen uns eng mit der Politik austauschen.

Wie nimmst du die Stimmung unter den Gründern und Unternehmern wahr?

Positiver, als sie in den Medien transportiert wird. Die junge Generation ist sehr freiheitsliebend, will gestalten – und zwar mit Impact. Wer sich fürs Gründen entscheidet, hat ja grundsätzlich den Mut und den Glauben an die Zukunft. Das brauchen wir. Auch im Verband der Unternehmerinnen ist die Stimmung
grundsätzlich positiv, obwohl der Frustrationsgrad hoch ist. Es wird den Unternehmen aktuell sehr schwer gemacht, auch aufgrund des gesamtgesellschaftlichen Mindsets.

Was meinst du damit?

Bewerber aus der Großindustrie mit gewerkschaftlicher Organisation sind im Grunde für mich nicht einstellbar. Als stark wachsendes, junges Unternehmen kann ich keine Vier-Tage- Woche und drei Tage Homeoffice bieten. Als Unternehmerin beschleicht mich in diesem Land manchmal das Gefühl, dass die Menschen gar nicht mehr an ihre Leistungsgrenze gehen wollen. Und deshalb müssen wir auch das Thema Arbeit wieder sehr ehrlich diskutieren. Wir kommen niemals aus der Rezession heraus, wenn wir unsere Produktivität nicht steigern. Und das bedeutet tatsächlich mehr Einsatz.

Wie schaffst du es dennoch, Mitarbeitende der Gen Z für dein Unternehmen zu begeistern?

Wir sind eine digitale Firma mit einem nachhaltigen Produkt, zahlen überdurchschnittlich gut und stehen für modernes Arbeiten. Ich biete meinen Arbeitnehmern viel Entwicklungsund Entfaltungspotenzial, mache aber auch keinen Hehl daraus, dass ich Leistungsträger brauche, die Dynamik reinbringen. Ich finde es schade, dass Arbeit und Leistung als etwas Negatives angesehen werden und nicht mehr als das, was sie sind: Quelle von Wertschätzung, Wohlstand, Zusammengehörigkeitsgefühl und gemeinsam entwickelten Zukunftsperspektiven. In Deutschland arbeiten wir im europäischen Vergleich neun Stunden die Woche weniger – und das in einer Rezession. Wenn wir jetzt nicht die Ärmel hochkrempeln und die Produktivität steigern, werden wir dieses Land nicht voranbringen.

Du bist mit starken weiblichen Vorbildern aufgewachsen. Braucht es mehr Female Role-Models?

Meine Mutter war in einer Zeit Unternehmerin, als es die Begriffe SHEconomy, Female Empowerment oder Gender-Gap noch nicht gab – mit einer großen Selbstverständlichkeit. Erst später habe ich realisiert, dass das für die damalige Zeit nicht normal war. Deshalb ist es ein Herzensthema von mir, junge Frauen zum Unternehmerinnen- und Gründerinnentum zu motivieren und sie als Mentorin zu begleiten.

Woran liegt es, dass es viel weniger Frauen unter Gründern und Entrepreneuren gibt?

Mutterschaft ist immer noch der absolute Karrierekiller in Deutschland. Andere Länder sind uns bei diesem Thema weit voraus, etwa Schweden oder Frankreich mit ihrer flächendeckenden Kinderbetreuung und dem Dual Career Model. Bei uns fehlen 430.000 Kita-Plätze. Das sind 430.000 Mütter, die beruflich nicht durchstarten können. Das muss sich dringend ändern, um das Arbeitskräftepotenzial von Frauen am Wirtschaftsstandort Deutschland zu heben. Wir brauchen eine Steuerreform und die Modernisierung des Ehegattensplittings, damit Frauen auch die richtigen finanziellen Anreize erhalten. Das haben wir in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren verschlafen.

ZUR PERSON
Christina Diem-Puello stammt aus einer Unternehmerfamilie, deren Business sich immer um das Fahrrad drehte: Bereits ihr Ururgroßvater hat Räder in seiner Werkstatt per Hand gefertigt. Nach ihrem BWL- und Jura-Studium sammelte Christina im Familienunternehmen Erfahrungen in der Branche. 2020 gründete sie mit ihrem Ehemann Maximilian Diem die Deutsche Dienstrad GmbH, ein Dienstradleasing-Unternehmen. 2023 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 130 Mio. Euro und beschäftigte 100 Mitarbeitende. Christina ist Präsidentin des Verbands der Unternehmerinnen in Deutschland (VdU). Sie engagiert sich als Investorin, Business-Angel und Beirätin.

Ursprünglich erschien dieses Interview in unserem Magazin Family Business Matters, Ausgabe 01/2025. Jetzt reinlesen!

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